„Leute mitnehmen in den politischen Alltag“: Social Media-Kommunikation von Politikern und Parteien

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Ein Interview mit Martin Fuchs, Politikberater, Blogger und Speaker

Berät Regierungen, Parlamente, Parteien und Verwaltungen in Sachen digitaler Kommunikation: Politikberater und -blogger Martin Fuchs.

Martin, was ist der Status der politischen Kommunikation über Social Media in Deutschland, und wohin geht deiner Meinung nach der Trend?

Martin: Ich beobachte die digitale Kommunikation in der Politik seit zehn Jahren und habe in den letzten Jahren eine starke Professionalisierung gesehen, gerade in Bezug auf Prozesse, Strukturen, Mitarbeiter, Kompetenzen und Budgets – das hat sich pauschal gesagt alles sehr positiv entwickelt.

Wir machen uns ja gerne lustig darüber, wie Politik Social Media nutzt, und da gibt es in der Breite auch viel zu kritisieren. Oftmals habe ich aber den Eindruck, dass Politik teilweise mutiger ist als Unternehmen, Verbände oder andere klassische Social Media-Nutzer, da die Politik oftmals weniger Budget hat und oft gezwungen ist, Dinge auszuprobieren, die weniger Geld kosten. Das finde ich hochspannend! Unternehmen sollten daher ruhig auch mal auf die Politik schauen und sich etwas abkucken.

Politik ist teilweise mutiger als Unternehmen.

In den letzten Monaten zogen sich immer wieder Politiker aus Social Media zurück. Kann man hier von einem Trend sprechen, oder beobachtest du vielmehr, dass die Social Media-Kommunikation ausgebaut wird? 

Martin: Einen Rückzug von Politikern aus sozialen Medien gibt es immer wieder. Nach Robert Habeck habe ich einen kleinen Abmelde-Hype beobachtet, insbesondere bei Twitter und Facebook. Auf der anderen Seite habe ich aber auch beobachtet, dass Politik gelernt hat, dass die Kommunikation immer heterogener wird und dass Zielgruppen nunmal auf unterschiedlichen Plattformen sind. Ich beobachte daher eher eine Verbreiterung der Kommunikation in Bezug auf die Plattformen. Neben den großen drei, vier Plattformen denke ich speziell an Messenger, an Jodel oder Twitch.

Die App Jodel bringt lokale Communities in einem Umkreis von zehn Kilometern zusammen. Zur Bundestagswahl 2017 stellten sich Spitzenkandidaten großer Parteien wie Christian Lindner (FDP) auf Jodel den Fragen der Community. Interessantes Feature: Die Nutzer konnten auch über die Wichtigkeit der Fragen abstimmen.

Speziell bei Twitch erwarte ich einiges für den Europawahlkampf und finde es hochspannend, was Parteien dort ausprobieren und dass man sich hier wirklich überlegt, wo die Zielgruppen sind und folglich dort hingeht. Daher sehe ich eher einen Ausbau. Im Übrigen finde ich es souverän, wenn Politiker und Parteien ihre Kommunikation nach ein paar Jahren hinterfragen und eine Plattform ggf. wechseln, wenn sie ihre Zielgruppen über diese nicht so gut erreichen.

 Welche Plattformen sind deiner Meinung nach die geeignetsten für Politiker und Parteien, und warum? 

Martin: Das lässt sich pauschal schwer beantworten, da jede Partei ein anderes Umfeld und andere Themen hat, sich die Zielgruppen ebenso unterscheiden wie die Spitzenkandidaten, die sich auf den Plattformen wohlfühlen müssen. Es ist natürlich nicht falsch, auf den Großen DreiInstagram, Facebook und Twitter zu sein, um die Masse der Bevölkerung zu erreichen. Viel wichtiger ist es jedoch für Parteien, digitale Communities zu haben, d.h. Menschen bzw. Microinfluencer an sich zu binden, die in ihrem Freundeskreis und ihrer Nachbarschaft für eine Partei oder ein Thema werben.

Für Parteien ist es am wichtigsten, digitale Communities zu haben.

Das halte ich für viel wichtiger als eigene Plattformen. Diese sollten vielmehr dazu genutzt werden, guten Content zu spielen, der dann von anderen in deren teilprivaten oder privaten Umfeldern geteilt wird und somit mobilisiert. 

Wer sind denn solche Microinfluencer, die für die digitale Community einer Partei wichtig sind?

Martin: Zunächst einmal muss man sich von dem Gedanken an die klassischen, großen Influencer verabschieden, denn diese beschäftigen sich vielmals gar nicht mit Politik und sind daher meist die falsche Plattform. Es geht vielmehr um Leute, die dort, wo es beispielsweise einen Ortsverband gibt, 500 Instagram-Abonnenten haben, die vielleicht fast alle Jugendlichen an diesem Ort repräsentieren. Das sind die Microinfluencer, die ich meine. 

Die drei großen Social Media-Plattformen eignen sich deiner Meinung nach gut, um möglichst viele Wählerinnen und Wähler zu erreichen. Welche Plattformen sind denn noch geeignet bzw. im Trend, oder total unterschätzt?

Martin: Für mich gibt es ein paar unterbewertete Plattformen, die die Politik noch nicht entdeckt hat, von denen ich aber glaube, dass sie ein großes Potenzial haben. Ein Beispiel ist die Livestreaming-Plattform Twitch. Dort gibt es eine sehr aktive Community von Menschen, die langsam merken, dass es neben Gaming noch andere Themen gibt, die sich über die Plattformen verfolgen lassen. Ebenfalls unterbewertet finde ich die Plattform nebenan.de, ein Netzwerk für Nachbarschaften, das aus Deutschland kommt und bei der man nur in seiner Nachbarschaft kommuniziert, also in sehr kleinen, lokalen Communities. Das finde ich nicht nur beim Thema Kommunalwahl extrem spannend.

Eine weitere Plattform, die häufig nicht genutzt wird, aber viel Potenzial bietet, ist LinkedIn. LinkedIn hat es geschafft, eine Business-Plattform mit guten Social-Aspekten und Features aufzubauen. Dort aktiv zu sein und Position zu beziehen, generiert aus meiner eigenen Erfahrung der letzten Monate erstaunlich große Reichweiten. Bisher sind jedoch nur wenige Politiker dabei, dabei kann man hier noch etwas bewirken und Potenziale heben. 

Ein großer Megatrend ist ein immer stärkerer Wechsel aus der öffentlichen Social Media-Kommunikation heraus in Dark Social-Bereiche, d.h. in Gruppen wie Facebook-Gruppen, aber auch Messenger wie Telegram oder WhatsApp. Ich hoffe, hier werden wir noch viel Innovatives sehen, zum Beispiel, dass im Messenger Wahlkampf betrieben wird. Mit all den Vor- und Nachteilen, die die Messengerisierung für die Gesellschaft mit sich bringen wird.

Welche Politiker in Deutschland nutzen Social Media-Kanäle denn besonders gut?

Martin: Ich bin sehr begeistert davon, was Katharina Schulze in Bayern als Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag macht. Oder auch Tiemo Wölken, der als relativ junger, nachgerückter SPD-Parlamentarier im Europäischen Parlament zeigt, was digitale Kommunikation kann. Er war nicht nur im Artikel 13-Umfeld sehr aktiv, sondern hat sich in den letzten 2,5 Jahren auf eine sehr persönliche Art und Weise eine Community aufgebaut mit Menschen, die gar nicht unbedingt in erster Linie etwas mit der SPD oder der Europapolitik zu tun haben. Er nahm die Leute zum Beispiel mit zu seinem ersten Arbeitstag im Europäischen Parlament. Er hat gezeigt, was er dort jeden Tag neu gelernt hat, wie er mit offenen Augen vor vielen Dingen steht und versucht, sie zu verstehen und zu erklären. Mit dieser Art von Kommunikation schaffte er es, viele Wählerinnen und Wähler an sich zu binden, die noch nie SPD gewählt haben und vielleicht auch noch nie zur Europawahl gegangen sind. 

Tiemo Wölken, SPD-Parlamentarier im Europäischen Parlament, hat sich über YouTube eine Community aufgebaut, indem er auf authentische Weise in kurzen Videos aus seinem Politikalltag berichtet – vom ersten Tag im Parlament bis zum „Mythen-Mittwoch“.

Wie hat Tiemo Wölken das gemacht? Wie geht man so etwas an?

Martin: Im Falle Tiemo Wölken muss man dazusagen, dass er zufällig einen guten Freund hatte, den YouTuber Pietsmiet, der ihm dazu geraten hat, YouTube-Videos zu machen. Wölken hat sich also eine Kamera gekauft und von seinem ersten Gang ins Parlament an jeden Tag versucht, in kurzen kleinen Videos aus seinem Politikalltag zu berichten und die Menschen mitzunehmen. Dabei zeigt er auch, was gut läuft, welche Probleme er hat, was ihn frustriert, was er sich wünschen würde, warum Leute auf die Straße gehen müssen.

Er lobt auch mal Politiker von anderen Parteien, mobilisiert, kritisiert – das alles auf eine sehr ehrliche, transparente Art und Weise, die nahe an ihm als Person dran war. Nicht jeder Politiker hat das Glück, von einem großen YouTuber unterstützt zu werden, doch ich glaube, jeder kann so etwas schaffen.

Katharina Schulze ist das beste Beispiel dafür. Sie hat jahrelang einen Einblick hinter die Kulissen des bayerischen Landtags gegeben und gezeigt, was das Handwerk eines Landtagspolitikers ist, was sie eigentlich den ganzen Tag macht, was ihr gefällt, wofür sie kämpft. Dafür hat sie zum Beispiel die Zeit im Zug zu Terminen genutzt, Fragen beantwortet und erzählt, was sie macht. Leute mitnehmen in den politischen Alltag – das ist es. Es klingt extrem simpel, es machen aber relativ wenige Politiker. 

  

 

Katharina Schulze (Grüne) aus dem bayerischen Landtag ist ein gutes Beispiel für die Nutzung von Instagram. Daneben ist sie u.a. auch bei YouTube aktiv und betreibt einen WhatsApp-Newsletter.

Stichwort Authentizität: Wie wichtig ist es, dass Politiker ihre Social Media-Kanäle selbst pflegen? 

Martin: Persönliche Kommunikation schließt Unterstützung nicht aus. Ein Account eines Politikers sollte zwar möglichst persönlich sein, doch man kann nicht erwarten, dass Politiker/innen alles selbst machen. Vor allem als Spitzenpolitiker/in, evtl. mit einem Ministeramt, benötigt man ein Team, das zum Beispiel bei Community Management, Monitoring oder der Produktion von Content wie Fotos unterstützt.

Eine persönliche Linie schließt Unterstützung durch ein Team nicht aus.

Dennoch sollten die Strukturen und Prozesse innerhalb des Teams so sein, dass der Politiker/die Politikerin mitbekommt, was passiert, selbst beeinflussen kann, was gepostet wird und die eigene Linie und Authentizität rüberkommt. Das ist das Entscheidende. Doch das kann man organisieren – wie man zum Beispiel an Christian Lindner (FDP) oder Katarina Barley (SPD) sieht. 

 

Ein gutes Beispiel für eine smarte Social Media-Kommunikation ist laut Martin Fuchs auch Katarina Barley (SPD), Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, die auf Facebook, Instagram und Twitter aktiv ist (oben: Screenshots aus Instastories, IGTV und Twitter). 

Es kommt aber auch auf die Plattformen an. Bei Twitter und Instagram ist es viel wichtiger, dass der/die Politiker/in selbst postet. Bei LinkedIn, Facebook oder Jodel ist es weniger relevant, neben meinen 18-19-Stunden-Tagen als Politiker/in immer selbst dabei zu sein, selbst zu monitoren etc. Das können andere auch gut übernehmen.

Angela Merkel betreibt zum Beispiel einen extrem erfolgreichen Instagram-Kanal. Auch wenn sie selbst vielleicht nicht weiß, was alles auf diesem Account passiert, finden es hunderttausende Menschen dennoch spannend, einen Einblick hinter die Kulissen einer Kanzlerin zu haben. Das Bundespresseamt hat es hier gut geschafft, einen eigenen Stil und roten Faden zu finden, der spannender ist als die Pressefotos und vielleicht spannender als das, was die Bundesregierung auf Facebook macht. Denn man bekommt einfach das Gefühl vermittelt, nah an der Kanzlerin und wichtigen Terminen, die sie begleitet, dran zu sein.

Welche Politiker und Parteien nutzen neue Social Media-Formate besonders gut und bereiten Inhalte gut auf?

Martin: In jeder Partei gibt es Leute, die gute Social Media-Kommunikation betreiben. Andrea Stullich, Abgeordnete der CDU im Landtag von Nordrhein-Westfalen macht zum Beispiel einen tollen Podcast, der sehr professionell gemacht ist und den ich sehr mag.

Der Podcast von Andrea Stullich, Abgeordnete der CDU im Landtag von Nordrhein-Westfalen.

Wo man sich immer etwas abschauen kann, ist bei Christian Lindner (FDP), der mit seinem Podcast und anderen Formaten immer wieder etwas Neues probiert. Dorothee Bär (CSU) hat eine eigene digitale Marke kreiert, an der man nicht vorbeikommt. Obwohl sie konservativ ist, gibt sie sich ganz anders, als man es von Konservativen erwartet, was einen gewissen Überraschungseffekt bietet. Zudem ist sie sehr dialogorientiert und macht ihre Sache insbesondere bei Twitter und Instagram sehr gut. Stark, wie sie es schafft, nicht nur selbst zu senden, sondern auch Dialog führt und auf andere Themen eingeht. 

Christian Lindner (FDP) gilt als einer der ‚Social Media-Stars‘ unter den Politikern. Bei Instagram folgen 130.000 Menschen seinen Bildern, Videos und Stories. Unter anderem betreibt er auch einen Podcast.

Ein gutes Beispiel ist auch Sahra Wagenknecht (Die Linke). Trotz einer ziemlichen Oldschool“-Kommunikation bei Facebook mit komplexen Inhalten und sehr viel Text hat sie eine treue Community mit über 400.000 Fans aufgebaut, die ihre Inhalte lieben und teilen. Bei den Grünen kommunizieren Cem Özdemir und Aminata Touré oft ziemlich smart, eine junge Abgeordnete der Grünen-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag. Sie macht tolle Instastories, dramaturgisch schöne kurze Geschichten, die politische Inhalte gut vermitteln und in denen komplexe Inhalte sehr gut aufbereitet sind.

Aminata Touré, eine junge Abgeordnete der Grünen-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag, nutzt Instastories, um politische Inhalte zu vermitteln und ihre Follower mitzunehmen. Auch Katharina Schulze (Grüne) aus dem bayerischen Landtag ist ein gutes Beispiel für die Nutzung von Instagram. Daneben ist sie u.a. auch bei YouTube aktiv und betreibt einen WhatsApp-Newsletter.

Empfehlen kann ich auch die Instastories von von Katharina Schulze (Grüne) aus dem bayerischen Landtag. 

Was machen viele Politiker und Parteien falsch? 

Martin: Der erste Grundfehler ist, dass Politiker und Parteien oft keine Strategie haben. Ohne zu hinterfragen, was das Ziel hinter dem jeweiligen Social Media-Auftritt ist, wird ein Profil bei Facebook eröffnet, weil man es für die jungen Leute braucht. Was herauskommt, ist ein bunter Gemischtwarenladen an Themen und Formaten, der keinen roten Faden spüren lässt. Nach einer gewissen Zeit führt das zu nachlassender Motivation, was man diesen Profilen dann auch anmerkt, weil damit einfach keine Erfolge zu feiern sind. Der zweite Grundfehler ist, dass die DNA von Social Media nicht verstanden wurde, nämlich, dass es um Dialog geht. Oftmals werden Positionen und Visionen einfach ausgekübelt, ohne die Menschen einzubinden und sie zu fragen, wie sie bestimmte Themen sehen und welche Ideen sie haben. Stattdessen sollte man nicht nur alle paar Wochen, sondern mit jedem Posting versuchen, einen Mehrwert zu schaffen, die Leute mitzunehmen und abzufragen – auch wenn nicht alle mitmachen werden.

„Der Dialog fehlt einfach.“ 

Ein weiteres großes Problem ist fehlendes Monitoring. Viele Politiker und Parteien bekommen gar nicht mit, was über sie gesprochen wird, über welche Themen da draußen eigentlich diskutiert wird, und welches die Orte sind, an denen sie sein müssten. Im Grunde müssten sie ihre Owned Media verlassen und dort hingehen und präsent sein: in die Gruppe, das Forum, die Diskussion unter einem YouTube-Video – zu den Leuten und den Diskussionen, die nie auf die eigenen Kanäle kommen würden. Man müsste die eigenen Welten, die man sich aufgebaut hat, viel öfter verlassen und dort hingehen, wo über Politik geredet wird, und dann dort aktiv sein. 

Das Zuhören und Feedback einholen wird also zu oft vergessen?

Martin: In meinen Vorträgen sage ich immer wieder, dass ich die passive Nutzung von Social Media wesentlich spannender und wichtiger finde als die aktive. Das aktive Senden ist auch wichtig, keine Frage, doch am meisten lerne ich jeden Tag durch das aktive Zuhören und Reinhorchen.

Auf Social Media-Kanälen von Politikern und Parteien sieht man häufig einfach Mitschnitte von Reden oder Pressefotos. Wie wichtig ist es, eigene Formate speziell für Social Media-Plattformen zu kreieren?

Martin: Ich bin ein großer Fan von festen Formaten, da sie zum einen eine gewisse Planbarkeit ermöglichen und man Content vorproduzieren kann, zum anderen kann man einen Wiedererkennungswert für eine politische Marke und sogar einen gewissen Kultfaktor schaffen, wie die baden-württembergische Landesregierung mit ihrem Unnützen BW-Wissen. Auch eine Parlamentsrede kann zum festen Format werden, zum Beispiel indem man jede Woche die Themen der Woche durch Ausschnitte aus Reden in einem Video zusammenfasst. Ein anderes, relativ einfach einzurichtendes Format könnte eine Live-Bürgersprechstundein festen Abständen sein. 

Welche Rolle spielen Bewegtbildformate?

Martin: Wir werden auch in der Politik immer mehr Bewegtbild-Content brauchen, doch mir ist auch bewusst, dass es unterhalb einer gewissen politischen Ebene ressourcentechnisch nicht möglich ist, das aufwändig zu produzieren. Und dennoch – Stichwort Authentizität – kann jeder Politiker anfangen, mit seinem Smartphone kurze Sequenzen zu drehen, zum Beispiel für Instastories oder ein Live-Video. Hier ist auch inhouse und mit wenigen Ressourcen einiges möglich. Es kommt jedoch auch stark auf die einzelnen Personen an, die sich diese Kompetenzen ja in den meisten Fällen erst einmal aneignen müssen. Hier gibt es viele Berührungsängsten mit dem Thema. 

Was können und müssen Politiker und Parteien tun, um sich gegen Trolle, Fake News, Polarisierung im Netz zu wappnen? 

Martin: Das Wichtigste ist, die eigene Kommunikation zu hinterfragen und zu reflektieren. Das klingt sehr hart, doch viele Politiker kommunizieren im Netz sehr provokativ und greifen zum Beispiel politische Gegner stark an. Wenn alle bei sich anfangen würden, ihre eigene Kommunikation zu ändern, dann würde das Netz ein viel besseres, freundlicheres sein. Dazu gehört auch, eigene Fehler einzugestehen, sich zu entschuldigen, wenn man Fehler gemacht hat, den politischen Gegner auch mal zu loben, anstatt immer draufzuhauen.

Der zweite Schritt ist, eine Community aufzubauen, die mich auch unaufgefordert verteidigt – für mich der beste Schutz gegen Trollangriffe und Gegenwind. Der dritte Schritt ist eine enge Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Stiftungen oder Initiativen, zum Beispiel Fearless Democracy. Auch bei eigenen Parteimitgliedern kann man Unterstützung organisieren, zum Beispiel über interne Facebook-Gruppen. 

Was erwartet uns künftig im Wahlkampf?

Martin: Mit den immer wieder gezogenen Vergleichen zu den USA kann ich wenig anfangen. Vieles, was in den USA passiert, ist so in Deutschland gar nicht umsetzbar, da wir eine andere Kultur und ein anderes Medien- und Rechtssystem haben.

„Künftig wird es im Wahlkampf eine viel stärkere Verschmelzung von analog und digital geben.“

Das Politische wird immer digitaler – was nicht heißt, dass das Analoge aussterben wird. Auch in 100 Jahren werden wir noch klassische Wahlveranstaltungen und Wahlplakate sehen. Und trotzdem wird es miteinander verschmelzen und wir sollten aufhören, in diesen beiden Welten zu denken.

Was die negativen Aspekte angeht, wird es ein Katz- und Mausspiel bleiben. Diejenigen, die manipulieren und Einfluss auf Wahlergebnisse nehmen wollen, werden immer wieder Technologien für sich einsetzen und zivilgesellschaftliche Akteure, Regierungen und andere werden darauf reagieren. Das Entscheidende ist, dass wir als Gesellschaft lernen, mit Fake News, Bots, Verschwörungstheorien und Medien aus der extremen Ecke umzugehen, denn wir werden sie nicht aus dem Netz kriegen.

Gesellschaftlich bringt es dann auch nichts (außer einen persönlichen Schutzraum für die jeweilige Person), wenn man seinen Account löscht. Unterm Strich glaube ich jedoch nicht, dass das böse Internetuns große Bedrohungslagen für die Demokratie und Wahlen schafft, sondern wir müssen einfach lernen, souveräner und weniger angsterfüllt damit umzugehen. 

Wir danken Martin für das Interview! 

Martin Fuchs berät Regierungen, Parlamente, Parteien und Verwaltungen in digitaler Kommunikation. Zuvor war er Politik- und Strategieberater in Brüssel und Berlin. Seit 2008 ist er Lehrbeauftragter für Public Affairs an der Universität Passau und Dozent für digitale Kommunikation und Politik an weiteren Hochschulen. Zudem ist er Gründer der Social Media-Analyse-Plattform pluragraph.de, Kolumnist des Fachmagazins „politik & kommunikation“ und bloggt über Digitalisierung in der Politik unter www.hamburger-wahlbeobachter.de. 

Weitere interessante Medienberichte zum Thema Politiker und Social Media mit Martin Fuchs findet ihr hier: http://bit.ly/MartinFuchsMedien, mehr über Martin auf seiner Website: http://martin-fuchs.org/.

Das Interview führte Susanne Maier. 

Bildquellen: Martin Fuchs, Redaktion SocialHub Mag
Titelbild: Anna Maucher über Branden Harvey auf Unsplash

Dieser Artikel erschien zuerst im SocialHub Mag – lade dir unser Social Media-Magazin hier kostenlos herunter!

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