Ein Interview mit Katrin Grothe, Leiterin der Abteilung für Soziale Medien FDP Fraktion im Deutschen Bundestag
Ihr bezeichnet euch als „Politisches Startup im Deutschen Bundestag“ und betreibt „kreative Opposition“. Wie setzt ihr Social Media-Kanäle dafür ein?
Katrin: Wir nennen uns eine Service-Opposition. Das heißt, wir wollen nicht nur kritisieren, sondern auch kreative Lösungen für Themen aufzeigen, die wir selbst anders machen würden – und genau das ist ja auch verfassungsgemäße Aufgabe einer demokratischen Opposition.
Unsere Social Media-Strategie dabei ist, die einzelnen Plattformen und ihre unterschiedlichen Funktionslogiken ernst zu nehmen, deshalb sieht etwa unser Instagram-Feed ganz anders aus als unser Facebook-Account. Natürlich erreichen wir dort auch jeweils andere Zielgruppen, etwa mit Blick auf das Alter.
Welche konkreten Ziele möchte die FDP Fraktion im Bundestag über Social Media-Aktivitäten erreichen?
Katrin: Wir informieren in den sozialen Medien über die Arbeit der Fraktion und unserer 80 Abgeordneten. Wir finden, politische Institutionen und Politiker müssen zur Verfügung stehen für Diskussionen, und zwar nicht nur auf den Marktplätzen, sondern da, wo die Menschen sind – und immer mehr Menschen sind nun mal in den sozialen Medien unterwegs.
„In den sozialen Medien darf man das Feld gerade nicht den Rechtspopulisten oder Verschwörungstheoretikern überlassen.“
Man kann nicht einerseits Filterblasen beklagen und sich dann andererseits selbst überall dort ausklinken, wo es unangenehm wird. Unsere Demokratie wird heute nicht mehr nur am Hindukusch, sondern eben auch online verteidigt. Deshalb diskutieren wir dort auch nicht nur in der Sache und treten in den digitalen Ideenwettbewerb mit den anderen Fraktionen im Deutschen Bundestag ein, sondern klären zum Beispiel auch auf, wie unsere Demokratie funktioniert („Warum ist das Parlament so leer?“).
Wie seid ihr organisatorisch aufgestellt? Habt ihr ein eigenes Social Media-Team?
Katrin: Ja, Social Media ist bei uns ein eigenständiger Bereich, gleichwertig mit der klassischen Pressestelle. Ich glaube auch, dass der Trend dahin geht: Vor einigen Jahren gab es meistens nur einen Social Media Manager, der in der Pressestelle angesiedelt war und der als „One Man/One Woman Show“ Kreation, Community, Bild und Bewegtbild in einer Person abbilden sollte. Inzwischen differenziert sich das immer mehr aus, in inhaltliche Botschaften und Kreation, Mediengestaltung, Pflege der Community – um nur drei Beispiele zu nennen.
Auf welchen Social Media-Plattformen seid ihr aktiv? Welche ist für euch derzeit am wichtigsten und warum?
Katrin: Wir sind auf allen gängigen Plattformen unterwegs: Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, Xing und LinkedIn. Wir wachsen auf Instagram ganz klar am stärksten, die in Summe größte Reichweite holen wir aber nach wie vor noch bei Facebook.
Inwiefern eignen sich Social Media für die Kommunikation als Oppositionspartei? Welche Chancen, aber auch Herausforderungen ergeben sich dadurch?
Katrin: Soziale Medien eignen sich für beides, Koalitions- wie Oppositionskommunikation. Je nach demokratischer Rolle ist die Kommunikation dann eben eher erklärender oder eher angriffiger. Wenn man sich anschaut, wie viele Staats- und Regierungschefs oder Ministerien inzwischen zum Beispiel bei Instagram unterwegs sind, dann würde ich sagen, gibt es da eher ein leichtes Übergewicht zu Gunsten der Exekutive – der Blick hinter die Kulissen wirkt dort mitunter auf den ersten Blick spannender. Das muss sich aber ändern.
Das Parlament als Herz der Demokratie sollte hier nicht zurückstehen. Denn das Parlament macht die Gesetze und trägt die Regierung, nicht die Regierung hält sich ein Parlament. Deshalb freut es mich sehr, dass der Deutsche Bundestag jetzt endlich auch eigene Social Media-Accounts bekommen soll. Das haben wir als FDP-Fraktion von Beginn an forciert.
Für uns Freie Demokraten war das eine Selbstverständlichkeit, denn die sozialen Medien waren für uns in der Zeit der APO oft der einzige Weg, potenzielle Wähler zu erreichen und mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Jetzt sind wir zurück im Deutschen Bundestag, aber das Ziel bleibt natürlich:
„Mit den Menschen in Kontakt kommen, über unsere Arbeit informieren – ohne die Gatekeeper der klassischen Medien.“
Habt ihr ein Beispiel für besonders erfolgreiche Social Media-Aktivitäten?
Katrin: Alles, was wir in letzter Zeit zum Thema Uploadfilter gemacht haben, egal ob Redeschnipsel, Kachel oder Meme, war extrem reichweitenstark. Das ist ein Thema, das in den sozialen Medien viele gerade junge Menschen zu Recht umtreibt und bei dem sich die FDP-Fraktion bereits früh dagegen positioniert hat.
Auf Instagram war unser erfolgreichstes Posting letztes Jahr ein Foto aus einer Plenardebatte, das den Moment zeigt, als die Union unseren Antrag zur Abschaffung des Solis wieder einmal abgelehnt hat. Auf Twitter haben wir zuletzt viel positives Feedback zu unserer Brexit-Day-Aktion bekommen, als wir unsere Abgeordneten in einem Europa-Hoodie fotografiert haben.
Inwiefern tretet ihr via Social Media gezielt in Kontakt mit Usern und/oder nutzt die Kanäle, um Feedback einzuholen?
Katrin: Das ist ja, was die sozialen Medien so spannend macht: Feedback gibt es immer unmittelbar, egal ob positiv oder negativ. Insofern treten wir natürlich jeden Tag in Kontakt mit unserer Community. Dialog ist uns sehr wichtig. Natürlich beobachten wir auch, wie bestimmte Forderungen oder Ideen aufgenommen werden und geben das auch als Feedback zurück an die politische Führung.
In Social Media geht fast nichts mehr ohne Bewegtbild. Wie ist die FDP Fraktion im Bundestag in diesem Bereich aufgestellt? Welche Formate nutzt ihr, und soll der Bereich ausgebaut werden?
Katrin: Bewegtbild wird in der Tat immer wichtiger, ist zugleich aber auch sehr aufwändig, wenn man eigene, wiederkehrende Videoformate schaffen will, die mehr sind als ein Facebook-Live mit dem Fraktionsvorsitzenden oder ein YouTube-Schnipsel einer Plenarrede. Wir haben mit unserem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer gerade ein neues Videoformat auf Instagram TV gelaunched: „Auf einen Espresso mit Marco Buschmann“.
Jede Sitzungswoche erklärt Marco Buschmann dort ein aktuelles politisches Thema, das den Bundestag beschäftigt, konzentriert und kompakt wie ein Espresso. In den Instagram Stories haben wir bereits seit längerer Zeit das Format „Elevator Pitch“, bei dem jede Woche ein MdB einen unserer Anträge pitcht. Auf YouTube kann man den Podcast unseres Fraktionsvorsitzenden auch als Video anschauen. Weitere Ideen sind in der Pipeline. 😉

Welche Rolle spielen Paid Social bzw. gezielte Werbeanzeigen in sozialen Medien?
Katrin: Insbesondere Facebook hat sich in den letzten Jahren ja von einem kostenlosen Kommunikationskanal zu einem Paid-Media-Kanal entwickelt. Per Algorithmus werden private Inhalte bevorzugt und Inhalte von Seitenbetreibern runtergerankt. Wer dennoch breit über die parlamentarische Arbeit der Fraktion informieren und die Bürgerinnen und Bürger auf Facebook erreichen will, ist daher darauf angewiesen, Postings auch per Anzeige auszuspielen, damit diese Informationen über die Arbeit der Bundestagsfraktion überhaupt die Chance auf eine relevante Reichweite unter interessierten Bürgerinnen und Bürgern haben.
Setzt ihr bei eurer Social Media-Kommunikation gezielt auf die Zusammenarbeit mit Influencern, z.B. YouTubern, oder anderen Multiplikatoren?
Katrin: Wir hatten kürzlich bei unserem Fraktionsvorsitzenden den YouTuber Dennis Brammen von PietSmiet zu Besuch, da ging es um das Thema Uploadfilter. Auch die Klima-Influencerin Louisa Dellert hat Christian Lindner schon im Bundestag besucht und mit ihm über Klimaschutz diskutiert. Beides hat sich aus einem konkreten Dialog in den sozialen Medien heraus ergeben – das sind die besten Begegnungen, weil es dann eben echt ist. Ansonsten ist mein Eindruck, dass viele Influencer eher politisch neutral bleiben wollen und sich von der Politik fernhalten, um keine potenziellen Werbekunden zu verprellen. Das finde ich persönlich schade.

Welche Trends seht ihr im Bereich Social Media & Politik?
Katrin: Die sozialen Medien sind immer in Bewegung. Ich glaube, der Erfolg von Stories, also kurzen, flüchtigen Inhalten, wird weitergehen. Und ich denke, dass man die weitere Nutzung von Messengerdiensten wie Whatsapp beobachten muss.
Katrin Grothe hat Politikwissenschaft in Bielefeld und Berlin studiert, mit Auslandsaufenthalten in London und Kopenhagen. Von 2012 bis 2018 leitete sie das Büro und die sozialen Medien von Christian Lindner. Zudem koordinierte sie im Landtagswahlkampf in NRW die digitale Einheit. Seit 2018 leitet sie in der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag die neu geschaffene Abteilung für Soziale Medien.
Wir bedanken uns bei Katrin für das Interview!
Das Interview führte Susanne Maier.
Bildquellen: SocialHub Redaktion
Titelbild: Anna Maucher über Håkon Sataøen auf Unsplash
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