Ein Gastbeitrag von Dunja Koelwel, freie Journalistin der Ebner Media Group
Der unreflektierte Hype um Influencer Marketing scheint vorbei, zu oft war in den letzten Monaten von betrügerischen Aktionen bei Influencern zu hören und zu lesen. Doch Influencer Marketing kann nach wie vor ein Teil einer erfolgreichen Marketing-Strategie sein, wenn Unternehmen sich der diversen Betrugsmöglichkeiten bewusst sind und entsprechend gegensteuern können.
Seit wann gibt es Influencer Marketing? Wäre dies eine Quizfrage im TV, würden die meisten vermutlich nur auf wenige Jahre tippen. Doch dieser Trend ist keineswegs neu. Schon im 18. Jahrhundert setzten damalige Unternehmen auf Influencer, beispielsweise Josiah Wedgwood.
Er war in England Gründer einer Töpferei und vertrieb Keramikgeschirr. Es gelang ihm, das englische Königshaus für seine Waren zu begeistern und die Königsfamilie als Fürsprecher zu gewinnen – vermutlich eines der ersten Beispiele für erfolgreiches Influencer Marketing. Heute findet Influencer Marketing vor allem im Netz statt, denn wer sich über neue Produkte und Services informieren will, fragt häufig seine Netzwerk-Kontakte.
Milliardenmarkt Influencer Marketing
Für 2019 schätzt Statista, ein deutsches Online-Portal für Statistik, das Daten von Markt- und Meinungsforschungsinstitutionen sowie aus Wirtschaft und amtlicher Statistik aufgreift, den globalen Influencer-Markt auf ein Volumen von 2,38 Milliarden US-Dollar. Und allein in Deutschland soll dieser Markt im Jahr 2020 eine Milliarde Euro überschreiten, so wiederum eine Untersuchung der Berliner Marketingagentur Media-Part aus dem vergangenen Jahr.
Influencer Marketing spielt sich dabei zumeist auf Instagram ab. Die Marketing-Plattformen Hubspot und Mention haben dazu kürzlich mehr als 48 Millionen Instagram-Postings analysiert und das Nutzungsverhalten in Bezug auf Engagement, Hashtag-Reichweite und Bedeutung der Influencer untersucht. Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie sind erstaunlich:
- Videos erhalten doppelt so viele Kommentare, wie Bild-Posts
- 47 Prozent der Nutzer haben weniger als 1.000 Follower, also potenzielle Kunden
- 80 Prozent folgen mindestens einem Unternehmen, vor allem mit kreativen trendigen Hashtags
- 7 von 10 Hashtags stammen von Unternehmen oder sind mit einem verknüpft
- 1,9 Prozent der User haben über eine Million Follower und gelten somit als große Influencer.

Der schmale Grat zwischen Erfolg und Betrug
Doch der Umgang mit Influencer Marketing ist für viele Unternehmen und Marken auch immer noch mit viel Unsicherheit besetzt. Zwar gibt es mittlerweile beispielsweise von den Landesmedienanstalten Leitfäden, wie sich diejenigen, die Youtube, Instagram, Facebook oder Blogs gewerblich nutzen, verhalten müssen, um abmahnfrei posten zu können.
Und auch das Problem des Influencer Fraud hängt in der Luft, denn Bots und Fake Follower sind systemimmanent. So hat beispielsweise die bereits erwähnte Untersuchung von Media-Part ergeben – die Agentur hatte dafür 22.800 Social-Media-Kanäle und 1,8 Milliarden Beiträge untersucht – dass nicht mal die Hälfte der untersuchten Accounts unauffällig und vermutlich jeder zehnte Account gefälscht ist.

Und an Fake-Accounts zu gelangen, ist alles andere als ein Hexenwerk: Im Web finden sich Unternehmen, die den Handel mit falschen Followern zum Geschäft gemacht haben und „authentische Nutzer“ anbieten, die sich kaum von echten Abonnenten unterscheiden. Die Klicks können dabei sowohl von Menschen als auch von Künstlicher Intelligenz (Bots) kommen, die entsprechende Beiträge dann automatisch liken.
Dieser Betrug könnte laut einer aktuellen Studie der US-amerikanischen IT-Firma Cheq im Jahr 2019 Schäden in Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar verursachen – 15 Prozent des gesamten Umsatzes der Branche. Grundsätzlich lassen sich die Arten von Influencer Fraud dabei in drei Bereiche unterteilen:
- Follower Fraud: Wenn ein Account spezielle Dienste in Anspruch nimmt, um automatisch Follower zu gewinnen, spricht man von Follower Fraud. Über Tools lässt sich dabei quasi über Nacht ein Fake-Account mit vielen Followern aufbauen – wobei die meisten der so gewonnenen Follower-Profile ebenfalls oft gefälscht sind. Es ist daher wichtig, sich die Entwicklung der Follower eines Profils anzusehen. Gibt es beispielsweise auffällige Spitzen beim Anstieg der Follower, die nicht auf Postings oder andere Inhalte zurückzuführen sind, sollte Skepsis geboten sein.
- Engagement Fraud: Hierbei kaufen sich die Influencer trotz Profil und treuen Followern zusätzliches Engagement für ihre Posts, etwa Kommentare. Dies kann ebenfalls durch Software geschehen, die Beiträge automatisch kommentiert oder liked. Vorsicht sollte man daher walten lassen, wenn ein Kommentar nur aus einem Emoji besteht oder kurze Sätze regelmäßig wiederholt werden.
- Fake Interest: Bei gefälschtem Interesse postet ein Influencer etwas zu einem Thema, ohne, dass es zu diesem Inhalt sonst eine echte Konversation mit den Followern gibt – die Konversation spielt sich vielmehr bei einem anderen Thema ab. Ein Beispiel: Ein Influencer postet zu Haustieren, die Follower-Interaktion betrifft aber das Thema Gaming. Das den Influencer beauftragende Unternehmen glaubt jedoch, dass der Influencer viele Fans und viel Engagement bei Tier-Inhalten hat. Postet der Influencer nun im Rahmen einer Kooperation zu Themen, die er sonst nie aufgreift, sorgt dies für eine schlechte Performance für die Unternehmen und Marken.
Unternehmen und Marken, die Opfer von Fraud werden – egal ob beabsichtigt oder nicht – verschwenden aber nicht nur Zeit und Geld, sondern können auch nachhaltig ihr Image beschädigen. Marketingexperten raten daher mittlerweile eher auf so genannte Micro-Influencer zu setzen, um diese drei bei Influencern verbreiteten Betrugsszenarien etwas einzugrenzen.
Micro-Influencer – noch eine heile Welt?
Als Micro-Influencer (teilweise auch Nano-Influencer) bezeichnet man Accounts mit weniger als 100.000 Followern. Sie erzielen oft hohe Reichweiten zu speziellen Experten-Themen, aber erreichen nicht die breite Masse – was aber auch für viele Unternehmen und Marken sehr spannend sein kann. Abgesehen davon verlangen Micro-Influencer meist weniger Honorar als die Top-Influencer.
Kein Wunder also, dass Micro-Influencer mittlerweile als eine spannende Alternative wahrgenommen werden. Wie beispielsweise Umfragen des Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) sowie von Rakuten Marketing und dem Marktforschungsinstitut Viga zum Thema herausgefunden haben, wollen mittlerweile ein Großteil (63 Prozent) der befragten Unternehmen im BVDW 2019 in Micro-Influencer investieren. Für sie ist es wichtiger, dass der Influencer zur Marke (Firma, Produkt, Personen) passt als dass eine zu große und zu unspezifische Zielgruppe erreicht wird.
Fazit
Der Hype um das breit in die Fläche gestreute Influencer Marketing scheint vorbei, es stößt wirtschaftliche Grenzen, Influencer kämpfen zunehmend mit einem Glaubwürdigkeitsproblem – und die Unternehmen reagieren. In Zukunft wird Influencer Marketing daher zwar auch weiter eine Rolle spielen, aber eher nur als Teil einer gesamten Marketing-Strategie.
Interview mit Annette Weber, Mode-Influencerin
Annette Weber ist eine europaweit bekannte Mode-Influencerin und ehemalige Instyle-Chefredakteurin und verbindet ein untrügliches Gespür für Mode und Business. Im Interview zeigt sie, wie die seriöse und glaubwürdige Zusammenarbeit mit Influencern gelingen kann.
Was sind die häufigsten Stolperfallen für Unternehmen mit Influencern?
Annette Weber: Das größte Problem ist, dass die Entscheider unsicher sind. Sie sind keine Digital Natives. Außerdem ist es wichtig, dass der Influencer exakt zur Marke passt. Eine 18-jährige Youtuberin ist kein gutes Testimonial für Luxuskosmetik, eine 50-jährige Influencerin sieht in Pimkie Kleidung unglaubwürdig aus
Folgt man Influencern auf Instagram, scheint es, als dass der ganze Tag nur als angenehmen Tätigkeiten und Aufenthalten an schönsten Orten besteht. Wie sieht Ihr Tagesablauf in Wirklichkeit aus?
Annette Weber: Instagram ist das Gegenteil von RTL2, den Reality Soaps, die soziale Randgruppen in problematischen Verhältnissen zeigen. Hartz4 TV. Instagram ist eine schöne Welt. Viele junge Frauen schauen sich das eben gerne an. Natürlich geht das alles an der Lebensrealität vorbei und stürzt gerade junge Frauen oft in persönliche Krisen. Bei der älteren Zielgruppe ist es anders. Die schauen sich diese „Mogelpackungen“ nicht gerne an. Da kommen unfreundliche Kommentare. Tatsächlich ist der „Beruf“ Influencer mit dem eines Redakteurs zu vergleichen. Nur 24/7 on track!
Produkteinführung, Markenbekanntheit, Produkttests – was eignet sich Ihrer Erfahrung nach am ehesten bei einer Zusammenarbeit mit Influencern?
Annette Weber: Alle drei genannten Punkte passen zu Social Media. Man muss das Momentum treffen. Gerade für Neueinführungen ist Instagram top. Viele junge Modefirmen haben ihren rasanten Aufstieg Instagram und den richtigen Influencern zu verdanken. Produkttests sind für YouTube toll.
Wie lässt sich die Wirkung messen? Sind Follower ein gutes Kriterium?
Annette Weber: Wie definiert man heute „Erfolg“? Durch Swipe Links kann man exakt feststellen, wie viele User auf die eigene Seite verlinkt wurden. Wieviel verkauft wird. Da hat Social Media die Nase vor Print. In Sachen Image kann man auf klassische Anzeigenwerbung nicht verzichten. Das dauert auf Social Media natürlich immer etwas länger. Follower sind ein wichtiges Auswahl-Kriterium. Es müssen die richtigen sein. Das fragen die Kunden immer mehr ab. Wenn ich ein lokales Produkt in München vermarkten will, hat es ja keinen Sinn, wenn die Follower des Influencers zum Großteil in Südamerika sitzen.
Auf dem diesjährigen Internet World Congress am 23. Und 24. Oktober in München wird Annette Weber noch tiefere Insights geben, wie das Zusammenspiel mit Influencern gelingen kann.
Dunja Koelwel ist seit über 20 Jahren freie Journalistin und unter anderem für die Ebner Media Group für die Inhalte der Konferenzen zuständig. Ein der nächsten Konferenzen ist am 23. und 24. Oktober 2019 der Internet World Congress, bei dem auch das Thema Fraud im E-Commerce – etwa Influencer Fraud, Fraud am Black Friday etc. von Experten ausführlich beleuchtet wird. Noch sind ein paar Tickets verfügbar!
Titelbild: Anna Maucher über Christiana Rivers auf Unsplash