Community Management der Zukunft – Helfer im Softwaregewand

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Interview zu Community Management mit Andreas Nickel, Gründer von ferret go

Welche Entwicklungen seht ihr im Bereich Community Management derzeit? Vor welchen Risiken und Herausforderungen stehen Community Manager?

Andreas Nickel, Gründer von ferret go

Andreas: So wie sich das Internet dramatisch verändert, verändert sich auch das Community Management. In jüngster Zeit haben wir erlebt, wie sich aus einer wenig beachteten Hilfstätigkeit ein Berufsbild im Vollausbau geformt hat.

Weil das Internet weiterhin Ort des kritischen Diskurses ist, geht es nicht mehr um das bloße Abarbeiten von Leitfäden im Dienste der Wahrung einer „Netiquette“. Nehmen wir nur die Debatte um die „Hasskommentare“. Die Tatsache, dass irrelevante Meinungen eine starke Betonung erfahren, ist eine Herausforderung, für die es noch einer Bewältigungsstrategie bedarf. Das hat zu einer Neubewertung des Berufsstands geführt. Auch datengetriebenes Profiling, Matching und Real-Time-Erfordernisse werten das Community Management weiter auf.

Wie sieht eurer Meinung nach das Community Management der Zukunft aus?

Andreas: Das Community Management muss auf neue Anforderungen reagieren, die sich zum einen aus der Quantität von Nutzeräußerungen, zum anderen aus der Qualität ergeben.

Das Community Management der Zukunft verwaltet nicht nur Begleiterscheinungen von Content – es erzeugt selbst welchen.

Es geht nicht darum, eine große Kommentarflut aus profaner Reichweitenerwägung anbranden zu lassen und dabei lediglich darauf zu achten, dass es nicht justiziabel wird. Beiträge einer gut gepflegten Community liest man gern, auch bei der Beantwortung von CRM-Anfragen geht es darum, einen echten Mehrwert zu erzeugen, anstatt nur Tickets abzuarbeiten. Diese Anforderungen bringen das Community Management heute an die Grenzen und es ist schlicht nicht beliebig skalierbar. Häufig reicht es eben nicht aus, einfach noch weitere fünf oder fünfzig Community Manager einzustellen.

Machine Learning, AI und Bots werden derzeit gehypt, doch in der Praxis ist noch viel Entwicklungsarbeit nötig. Wie steht ihr diesen Technologien gegenüber? Wo seht ihr die Vor- und Nachteile im Social Media & Community Management?

Andreas: Einem technischen System die feinen Nuancen der Ironie beizubringen, wird sicher noch eine ganze Weile dauern. Humor gilt nicht umsonst in den darstellenden Künsten als Königsdisziplin. Auch künftig wird man sich damit abfinden müssen, dass es keine One-fits-all-Lösung gibt.

Was Technologien leisten können, ist abhängig von der jeweiligen Problemstellung. Das Fachgespräch in einer sehr spitzen Community, die sich mit der Zucht einer speziellen Orchideensorte auseinandersetzt, ist auf absehbare Zeit sicher besser händisch zu moderieren. Allerdings kann Technologie hier helfen, den Diskurs zu untersuchen: Welche Wortmeldungen bringen eine Diskussion produktiv voran? Welche Nutzergruppen haben Impact? Mithilfe von Algorithmen zur Analyse von natürlichsprachlichen Dokumenten werden zum Beispiel inhaltliche Themen identifiziert. Der Orchideen-Webmaster wird das freilich wissen. Aber auch, wenn es darum geht, Berge von entsättigten Sportwagenfotos im Gegenlicht an der Côte d’Azur auszuwerten, kann das schon ganz anders aussehen.

Am Ende reden wir von Helfern im Softwaregewand.

Assistive Tools unterstützen dann ganz praktisch dabei, beleidigende Kommentare in einer großen Menge von Feedback früh zu erkennen, bevor ein Mensch das alles lesen konnte. Sie können Beiträge maschinell als sprachlich fragwürdig markieren oder sie automatisiert ausblenden, wenn sie die Grenze des normalen Miteinanders überschreiten. Ganz ähnlich funktioniert das auch bei Reviews und Bewertungen – da wird das Hotel als noch so sauber beschrieben, interessant ist jedoch die Information zum kalten Kaffee auf dem Frühstücksbuffet.

Was können diese Technologien heute schon konkret leisten? Worin können sie Social Media- und Community Manager unterstützen?

Andreas: Bereits jetzt gibt es Anwendungsfälle, wo Automatisierung gut einsetzbar ist. CRM- und Service-Fragestellungen („Wo ist mein Paket?“) sind bis zu einem gewissen Komplexitätsgrad technologisch beantwortbar. Assistive Systeme hingegen eignen sich gut, um unbemerkte Diskurse in einem großen Textkorpus zu entdecken oder, auch ganz einfach, für das automatisierte Einordnen von Nutzerbeiträgen („Passen sie in die Community?“).

Für verschiedene Medienhäuser oder auch politische Organisationen liefern wir mit ferret Lösungen, um sowohl onsite als auch in Social Media Automatisierung zu ermöglichen. Dort puffern wir Peaks ab, die im Vorfeld schlecht zu planen sind, oder Themen, bei denen es etwa in Form von Hatespeech besonders rustikal zur Sache geht. Das schafft im Tagesgeschäft Zeit für Dialog mit den Lesern oder um Themen voranzutreiben – im Prinzip sorgt das für eine respektvolle Grundstimmung und für die Einhaltung der Hausordnung, wenn man so will.

Wie funktioniert das technisch?

Andreas: Es hat im Grunde immer damit zu tun, historische Daten als Grundlage für den Umgang mit aktuellen Inhalten zu nutzen. Die Frage lautet beispielsweise „Wie haben Community Manager bestimmte Beiträge von Nutzern in der Vergangenheit behandelt?“. Man versucht, daraus Algorithmen abzuleiten.

Das geht auf unterschiedliche Weise. Machine Learning etwa kommt als probate Möglichkeit zum Einsatz, um sich Sequenzen von Nutzerbeiträgen anzuschauen. Sie werden dabei einem Ähnlichkeitswettbewerb unterzogen. Algorithmen erkennen dann, dass es in einem Bildbestand die Häufung runder Formen der Farbe Grün, halbtransparente Strukturen in Form einer Geraden mit leichter Krümmung am Ende nach oben und zwei Dreiecken am unteren Ende gibt. Ergänzt um Methoden des Reinforcement Learnings kommt der Mensch ins Spiel. Ja, liebes System, fein gemacht: Bei diesen Strukturen sprechen wir von einer sogenannten „Katze“.

Für wen eignen sich solche Lösungen?

Andreas: Prinzipiell für jeden. Große Unternehmen haben zum Beispiel viel Volumen zu bewältigen. Da können technische Systeme ebenso helfen wie in kleinen Unternehmen, die kein oder nur wenig Personal für Community Management aufbringen können und in jedem Fall auf Nummer sicher gehen wollen.

Werden Community Manager also künftig durch Software und Bots ersetzt?

Andreas: Das ist nicht zu erwarten. Vielmehr werden die Anforderungen an Community Manager steigen. Denn die Entscheidungen, die dort gefällt werden, sind ja deutlich komplexer als „freigeben“ oder „nicht freigeben“. Die Frage, ob „Arschloch“ ins Reich der unerwünschten Wörter gehört oder nicht, ist maschinell ja nicht endgültig zu beantworten. Im Zusammenhang mit einem Sportangebot kann es in der Kopplung „Arschlochverein“ ja durchaus eine zulässige Aussage sein, die dem Diskurs gut bekommt. Im Ressort Politik wiederum ist das anders zu bewerten.

Auch wenn es in der Diskussion zwischen Menschen immer große Ähnlichkeiten im Verlauf gibt, wird darum bei der Entwicklung von Algorithmen natürlich darauf geschaut, was typische Dialoge für den betreffenden Anwendungsfall, die Nutzer oder den Kontext sind.

Wie geht es weiter? Wo geht die Entwicklung in Zukunft hin? (Welche Anwendungsfälle sind noch denkbar?)

Andreas: Die Zukunft ist immer unbekannt. Das lehrt ja die Vergangenheit. Sicher ist aber, dass wir mehr über Themen und Publikum lernen. Das wird sich bei der Erschließung von inhaltlichen Zusammenhängen und ihrer Auswirkung auf Debatten zeigen, aber auch die Betrachtung von Nutzern und ihren Rollen in diesem Dialog betreffen. Man kann früher erkennen, für welche Themen sich Nutzer interessieren, an welchen Debatten sie sich eher beteiligen, ob sie gut für den Dialog sind – oder ob man sie besser davon ausschließt, weil sie andere Teilnehmer zu offensiv angehen oder sich ganz grundsätzlich danebenbenehmen.

Könnte man abschließend sagen, dass sich die Software immer weiter entwickelt und der Trend dahin geht, dass immer mehr technische Lösungen beim Vorsortieren von Posts und Kommentaren unterstützen, der Community Manager an sich aber nicht ersetzt wird?

Andreas: Natürlich. Von-Neumann-Maschinen werden eines Tages den Ablauf des Weltgeschehens beeinflussen. Einen schönen Überblick liefert „The Age of Em: Work, Love and Life when Robots Rule the Earth“ von Robin Hanson.

Wir bedanken uns bei Andreas für das Interview!

Während andere Y2K verdauen, befasst sich Andreas Nickel zur Jahrtausendwende mit Kommunikation im digitalen und nichtdigitalen Raum. Nach Stationen in der Projektentwicklung und Beratung für Marken, Industrie und Verwaltung wurde er Mitgründer der Agentur ressourcenmangel, beschäftigte sich aber auch mit Unternehmensentwicklung bei einem führenden Spezialisten für semantische Lösungen und gründete ferret. Dort entstehen Produkte auf Basis von Machine Learning und Computerlinguistik, die beispielsweise die Automatisierung von Community Management und CRM ermöglichen.

Das Interview führte Susi Maier.

Profilbild: Andreas Nickel, ferret go GmbH. Titelbild: Photo by rawpixel.com on Unsplash

Dieser Artikel erschien zuerst im SocialHub Mag – lade dir unser Social Media-Magazin hier kostenlos herunter!

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