Ein Interview mit Kai Fischer, Director Corporate Content bei der Constantin Film AG

Wenn sich einer in Deutschland mit dem Thema Produktion und Storytelling für Film- und Videoproduktionen auskennt, dann vermutlich die Constantin Film AG. Seit Anfang des Jahres bietet das Filmunternehmen mit Sitz in München auch Bewegtbild-Produktionen für Marken und Unternehmen an, darunter auch spezielle Formate für Social Media-Plattformen. Worauf es dabei ankommt, erzählt uns Kai Fischer, Director Corporate Content bei Constantin, und gibt Tipps zum Thema Videoproduktion für digitale Kanäle.
Seit Anfang des Jahres bietet ihr auch Bewegtbild-Produktionen für Unternehmen an. Wie kamt ihr dazu?
Kai: Constantin ist der größte unabhängige Filmproduzent in Deutschland und steht dadurch sowieso schon für Bewegtbild und Geschichtenerzählen. Historisch haben wir mit der Film-Sparte viel fürs Kino produziert, mit der Television-Sparte aber auch Filme und Serien für Fernsehen und Streamingdienste. Hinzu kommt die Constantin Entertainment, die non-fiktionale Formate und Show-Content wie „Shopping Queen“, „Genial Daneben“ oder „Frauentausch“ produziert.
In der Vergangenheit hatten wir bei Kinoproduktionen immer mal wieder Kooperationen mit Unternehmen, zum Beispiel über Product Placement wie bei „Fack ju Göhte“ mit Pickup. Eine Zusammenarbeit mit Marken gab es also schon immer, aber wir hatten keinen eigenen Bereich dafür.
Dadurch, dass die Kanäle immer mehr geworden sind und Marken selbst immer mehr zu Sendern werden, kam unserem Vorstand die Idee, unsere bereits vorhandenen Strukturen zu nutzen, um Content für Unternehmen, Marken und Institutionen zu produzieren. Da die Strukturen ja bereits da waren, brauchten wir nur noch einen verantwortlichen Produzenten, der das Thema führt. Einen, der idealerweise aus dem digitalen Bereich kommt, aber auch Inhalte versteht und die Schnittstelle zwischen Constantin und den Unternehmen bildet. Das war dann ich.
Welche Formate an Videocontent erstellt ihr?
Kai: Im Prinzip alles was möglich ist und was unsere Struktur hergibt: Imagefilme, Livestreams, Dokus, Trailer, Spots, Shows, Webserien usw.
Dabei geht es in erster Linie nicht darum, kurze Viral- oder Werbeclips zu produzieren, sondern unser Anspruch ist, Unternehmen und Marken die Qualität an Storytelling, die wir auch ins Kino und auf den Bildschirm bringen, anzubieten. Ein Unternehmen kann zum Beispiel mit einer Idee auf uns zukommen und wir fungieren dann als ausführender Produzent und verfeinern die Idee. Wir können aber auch von null an eine Idee für einen Kunden entwickeln. Wir konkurrieren dabei nicht mit Agenturen, sondern wir produzieren sowieso immer Filme und haben bereits eigene Marken sowie den Zugang zu Stars, und bringen diese mit Unternehmen zusammen. Das ist unser USP. Natürlich machen wir auch Auftragsproduktionen, doch zu uns kommst du weniger, weil du ein paar Erklärbär-Clips für YouTube brauchst, sondern weil du den nächsten Schritt im Storytelling gehen willst, ein neues Format kreieren und dabei mit den besten Autoren und Produzenten arbeiten willst.
Vom Schraubenhersteller Spax hatten wir den Auftrag bekommen ein Presseevent mit dem Auswanderer Konny Reimann filmisch zu begleiten. Die ursprüngliche Idee war, einen klassischen Imagefilm zu produzieren. In bester Entertainment-Produzentenmanier haben wir versucht daraus echte Unterhaltung zu machen. Im Film ist Konny zu sehen, wie er mit seinem Floß von Hawaii nach Ennepetal ins Schraubenwerk fährt, weil er Schrauben für sein neuestes Haus braucht. Vor Ort schaut er sich das Werk an und bekommt vom Werksleiter eine Führung, bevor er bepackt mit zig Schrauben wieder zurück nach Hawaii fährt. Es ist also im Prinzip eine Art Imagefilm, die das traditionelle und den deutschen Handarbeitsaspekt des Unternehmens herausstellt, aber es ist eben auch Entertainment. Etwas, das man auch Sonntag nachmittags bei Vox schauen würde, wenn man gerade Zeit hat und durchzappt. Dieser Film wurde auf der Presseveranstaltung gezeigt, in Anwesenheit von Konny Reimann. Bei Erscheinen des Interviews sollte der Clip sicher auch schon auf YouTube verfügbar sein.

Erfordern Videoproduktionen nicht eine Unmenge an Budget?
Kai: Nicht zwingend. Natürlich setzen wir bei Constantin Film und Television auch Produktionen mit großem Budget um, aber unsere Constantin Entertainment ist es zum Beispiel gewohnt, Formate schnell und zu einem kleinen Preis zu entwickeln und umzusetzen. Du kannst nur wenige tausend Euro Budget haben, aber auch Budget im sechsstelligen Bereich ausgeben.
Wie sollte man als Unternehmen aus eurer Sicht an Bewegtbildproduktionen für digitale Kanäle herangehen?
Kai: Der Fokus liegt eindeutig auf dem Storytelling. Wir entwickeln Bewegtbildformate für digitale Kanäle genauso wie fürs Fernsehen – nur schneller. (lacht) Marketing- und Social Media-Verantwortliche in Unternehmen werden heutzutage selbst immer mehr zu Verantwortlichen ihres Marken-Senders. Sie müssen Fans und Follower auf verschiedenen Kanälen bei der Stange halten und ihr Engagement fördern. Sie müssen Geschichten erzählen, die abseits von Werbung sind, möchten auch die Gesichter hinter der Marke zeigen und die Community miteinbeziehen. Wir sind dann mit dieser Aufgabe konfrontiert: ein Format und eine Geschichte zu entwickeln, die so unterhaltsam ist, dass Leute es auch über eine längere Zeit schauen möchten, und zwar auch selbst dann, wenn sie nicht Fan dieser Marke sind. Das ist unser Anspruch. Hier müssen wir mit unseren Autoren und Produzenten kreativ werden.
Müssen Marketing- und Social Media-Verantwortliche umdenken? Wie?
Kai: Social Media-Plattformen sind natürlich keine reinen Abspielmedien für Videos, sondern Communities. Diese haben sich aber über die Jahre verändert, es ist eben nicht mehr so wie vor einigen Jahren, als man über Facebook & Co. noch eine starke Interaktion mit der Community hatte, diese hegen und pflegen musste und sogar richtig mit ihr arbeiten konnte. Das alte Community Management funktioniert heute auf diesen Kanälen nicht mehr so gut. Heute sind YouTube oder Facebook in erster Linie ein Ort, an dem man interessanten Content findet. Und den muss man erst mal selbst schaffen.
„Marketing- und Social Media-Verantwortliche werden immer mehr zu Programm-verantwortlichen ihres Marken-Senders“
Ich denke daher, dass zwar nicht alle, aber einige Marketing- und Social Media-Verantwortliche in Unternehmen umdenken müssen. Sie müssen mehr denken wie ein Programmverantwortlicher, und sie müssen von den besten Content Creators da draußen lernen! Der Content muss so stark sein, dass man durch ihn den Community-Gedanken wieder aufleben lassen kann. Community entsteht in Social Media heute vermehrt durch Content.
Wie gehen Unternehmen damit um? Bemerkt ihr eine steigende Nachfrage?
Kai: Für Unternehmen mit großen Facebook-Seiten mit sehr vielen Fans kann ich das bestätigen, die bemerken einen extremen Rückgang ihres Engagements. Generell ist die Nachfrage nach immer spezialisierteren Produzenten für Bewegtbild gerade unglaublich hoch, vor allem seit diesem Jahr. Selbst TV-Sender müssen sich für ihre Social-Kanäle immer mehr einfallen lassen, und Formate speziell für diese produzieren.
Ein sehr gutes Stichwort! Welche Formate eignen sich aus eurer Erfahrung besonders gut für bestimmte Social Media-Kanäle?
Kai: Für Lidl haben wir zum Beispiel ein Live-Format speziell nur für Facebook konzipiert, eine Gameshow, die extrem interaktiv angelegt war. Es handelte sich dabei um eine 25- bis 30-minütige Liveshow aus einer Lidl-Filiale, bei der vier Kunden zu Protagonisten wurden. Diese legten nacheinander ihre Einkäufe aufs Laufband, während die Zuschauer raten mussten, wie viel die einzelnen Einkäufe auf den Cent genau kosten würden. Wer richtig geraten hat, konnte 500 Euro gewinnen – das Ganze vier Mal in einer Show. Es gab also den Gameshow-Effekt, einen Moderator, der durchaus polarisiert hat, die Interaktion der Nutzer untereinander und Preise, die man gewinnen konnte. Das lief höchst erfolgreich und hat uns gezeigt, dass eine Liveshow sehr gut funktioniert, wenn man sie gut inszeniert. Im Grunde haben wir haben sie ganz klassisch wie eine Fernsehsendung inszeniert, mit Trailer und Posts zur Bewerbung des Formats und fester Sendezeit, dazu ein Incentive und einen interaktiven Aspekt. Was aktuell zu Facebook nicht passen würde, ist vielleicht eine fiktive Webserie. Facebook ist sehr eventlastig, eher ein Happening, Live bietet sich daher im Moment total an. Ansonsten geht natürlich auch Klamauk und Comedy.
Für o2 haben wir ein Format mit Userstories für YouTube entwickelt. Über eine Kampagne haben wir o2-User dazu aufgerufen, uns ihre beste Story zu erzählen, die sie im letzten Jahr erlebt haben. Die besten Geschichten haben wir mit Hilfe einer Jury ausgewählt und mit einem bekannten Regisseur und guten Schauspielern verfilmt. Dabei sind drei gute Filme entstanden. Die Premiere fand exklusiv für ausgewählte Kunden in Kinos in bestimmten Städten statt, sie wurden aber auch über YouTube ausgestrahlt.
YouTube ist für uns sowieso das perfekte Medium, da es Langform-Videos gerade sehr unterstützt, also alles über zehn bis 15 Minuten. Wenn wir für Unternehmen Geschichten entwickeln, haben wir den größten Erfolg, wenn wir sie seriell erzählen, mit einer idealen Länge von ca. 20 Minuten pro Folge. Dafür ist YouTube perfekt. Solche Formate eignen sich sehr gut für Unternehmen, die YouTube bisher weniger aktiv genutzt haben und zum Beispiel mit einem interessanten Format ihrem Kanal einen Neustart verpassen möchten.


Was sind für euch derzeit die Trends? Mit welchen Plattformen beschäftigt ihr euch momentan?
Kai: IGTV ist ein super spannendes Thema für uns. Hier haben wir leider noch keinen Case und unsere Kunden sind typischerweise nicht die Early Adopter, aber wir sind bereit für das Format und gespannt, was da noch kommt! Außerdem haben wir uns in letzter Zeit mit Quiz-Show-Apps wie HQ Trivia oder Cash Show beschäftigt. Cash Show ist in Deutschland mit 100.000 Nutzern pro Show auch schon recht groß. Die Apps bedienen ein vertikales, mobiles Bewegtbildformat – für uns ein Trend, der generell sehr relevant ist. Ein super interessanter Weg, um Geschichten zu erzählen! Für uns stellen vertikale Videos auch eine coole Challenge dar, denn die Optik und die Perspektive verändern das Storytelling.
Wobei wir wieder beim Stichwort sind: Der Trend geht dahin, dass die Qualität des Storytellings immer wichtiger wird. Immer mehr Content prasselt auf uns ein und ist verfügbar. Entweder er erwischt dich, wenn du gerade Zeit hast und bereit bist oder der Content muss es schaffen, dass ich mir die Zeit dafür nehmen will, weil ich ihn so interessant und ansprechend finde. Die Qualität des Storytellings und der Produktion steigt. Und damit auch der Anspruch der User.
Welchen Tipp möchtest du allen Content-Schaffenden mit auf den Weg geben?
Kai: Ich selbst wäre vermutlich nie auf die Idee gekommen, Bundeswehr-Videos anzuschauen, bis ich nach dem Tipp einer Kollegin bei der YouTube-Webserie über den Mali-Einsatz hängengeblieben bin. Ich selbst war nie bei der Bundeswehr und auch kein Fan davon, doch das Format war so gut gemacht,die Charakteren sehr authentisch abgebildet, die Geschichten interessant, insgesamt eine wirklich gute Scripted Reality-Serie. Genau das braucht ein YouTube-Channel bzw. eine Videoserie heutzutage: Sie muss es schaffen, beim Nutzer den Wunsch auszulösen, immer weiter schauen zu wollen und auf den Tag zu warten, an dem endlich das nächste Video erscheint.
Ich sehe so oft, dass Unternehmen, denen ich bei YouTube folge und die eigentlich interessanten Content haben, auf einen Schlag 25 Videos hochladen, als wollten sie einfach mal ihre Mediathek dort ablegen. Damit verspielen sie eigentlich alles, was sie haben. Wenn sie mehr wie ein Fernsehsender denken würden, würden sie nicht nur im Content selbst mit Emotionen und Storytelling spielen, sondern auch bei der Inszenierung des Contents, ihn zum Beispiel über Trailer anteasern, sich überlegen, wann man ihn am Besten veröffentlicht, Engagement, Spannung und Awareness begleitend und schon im Vorfeld erzeugen. Wenn man das richtig macht, folge ich sogar der Bundeswehr.
Man sollte sich also unbedingt Gedanken um Konzept und Inszenierung machen?
Kai: Ein Tipp, den ich euch auch mit auf den Weg geben will, wenn ihr Bewegtbild-Content plant: Überlegt euch ein Konzept und denkt längerfristig, wie bei einer Serie über einen längeren Zeitraum. Ihr braucht einen Spannungsbogen.
„Denk nie in einem One-Shot!“
Denk immer an Möglichkeiten, wie du deine Geschichte und die Charaktere weiterentwickeln kannst. Wenn du es erst einmal geschafft hast, innerhalb deiner Geschichte eine Marke zu bauen, ergeben sich so viele weitere Möglichkeiten – etwa eine Community, eigene Produkte etc. (Und wenn nicht, wird das Format eben irgendwann abgesetzt – wie im Fernsehen).
Welche Rolle spielt plattformübergreifende Vermarktung?
Kai: Storytelling ist sowieso nie plattformabhängig. Selbst wenn ich ein Format kreiere, das auf eine bestimmte Plattform zugeschnitten ist, zum Beispiel ein vertikales Video, ist die Story immer unabhängig davon. Wenn du einen sehr guten, kreativen Content Creator hast, dann kann die Umsetzung auch etwas schlechter sein, aber es wird immer noch guter Content sein.
„Der Kanal ist immer sekundär, es ist in erster Linie wichtig, dass du in den Content investierst.“
Die Social Media-Plattformen haben alle ihre eigenen Gesetze, doch wenn die Story erst einmal da ist, dann kannst du die Kanäle gemäß ihrer Stärken und Eignung einsetzen. Natürlich schneidet man vielleicht etwas anders und Format und Länge variieren, aber für die Storyentwicklung ist das erst einmal sekundär.
Wir danken Kai für das Interview!
Das Interview führte Susanne Maier.
Bilder / Quellenverweis: Kai Fischer, Constantin Film AG
Titelbild: Anna Maucher über William Bayreuther auf Unsplash
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