Ein Interview mit Julia Nissen, Bloggerin von Deichdeern & Projektleiterin beim Forum Moderne Landwirtschaft

In einer neuen Influencer-Serie stellen wir euch in unserem Blog ausgewählte Nischen-Influencer vor. Wie „Deichdeern“ Julia Nissen, Bloggerin und Projektleiterin beim Forum Moderne Landwirtschaft. Durch ihre Homebase in Nordfriesland hat sie immer „einen Fuß an der Scholle“ und bringt unter anderem durch Social Media Verbraucher und Landwirte zueinander. In ihrem Blog „Deichdeern“ berichtet sie auf lockere, aufklärende Art vom Dorfleben – von „Tinder für Rinder“ bis zur Instastory auf Plattdeutsch.
Du bist Bloggerin in einem kleinen Dorf in Nordfriesland und arbeitest zudem beim Forum Moderne Landwirtschaft in Berlin. Wie kam es, dass du zur „Deichdeern“ wurdest?
Julia: Die Liebe hat mich nach Nordfriesland gebracht. Meinen Mann habe ich im Landwirtschaftsstudium in Kiel kennengelernt. Er wollte nach dem Studium auf den elterlichen Hof und da sich so ein Milchviehbetrieb nicht so einfach versetzen lässt, bin ich gerne mitgekommen. Ich habe drei Jahre in der Redaktion eines landwirtschaftlichen Wochenblatts für Schleswig-Holstein und Hamburg gearbeitet. Dort war ich zuständig für Onlinekommunikation, bin durch den Job aber auch immer wieder auf interessanten Events wie Mähdrescherprobefahrten und Landfrauenversammlungen gelandet.
Das fand ich so unterhaltsam, dass ich gerne mehr darüber berichten wollte – inklusive der kleinen Anekdoten am Rande und am Liebsten mit einem Augenzwinkern und einer persönlichen Note. Das Landleben ist nämlich echt cool und das wollte ich zeigen. Als ich 2016 in Elternzeit ging, ergriff ich die Gelegenheit und startete meinen Blog, um weiterhin schreiben und im Thema bleiben zu können.

Nach der Elternzeit nahm ich eine Stelle als Projektleiterin in Berlin beim Forum Moderne Landwirtschaft an, wo ich von zuhause aus arbeiten und nebenher meinen Blog weiter betreiben kann. Home Office ist auf dem Land zwar noch eine Seltenheit, aber irgendeiner muss ja anfangen. Und es kommt mir im Job sogar zu Gute, denn ich habe immer „einen Fuß an der Scholle“ und pflege den direkten Kontakt zu den Bauern vor Ort. Das ist mir sehr wichtig – und in meinem Job als Öffentlichkeitsarbeiterin unabdingbar.
Wie vereinbarst du deine Vollzeitstelle mit dem Bloggen?
Julia: Das ist gar nicht so einfach, denn 20 Stunden gehen pro Woche sicherlich fürs Bloggen drauf. Den Leuten bei uns aus dem Dorf erkläre ich es immer so: Das ist wie mit einem aufwändigeren Hobby. Manche hier haben ein Pferd und gehen zur Jagd, für sie ist es selbstverständlich, jeden Tag mehrere Stunden draußen zu sein. Mein „draußen“ ist das Internet.
Inhaltlich lässt sich beides sehr gut verbinden, denn das eine bedingt oft das andere: Geschäftliche Termine ergeben oft Inhalte für den Job und aus Blog-Kontakten werden manchmal Kunden. Ich balanciere beides, trenne aber auch bewusst. Wenn ich als Bloggerin auf ein Event eingeladen bin, nehme ich dafür Urlaub.
Könntest du dir vorstellen, hauptberuflich zu bloggen?
Julia: Die Überlegung steht immer wieder im Raum, doch ich bin wohl zu sehr Sicherheitsplayer und schätze die gesunde Mischung aus beidem, Angestelltsein und Bloggen. Zudem wäre ich mit meinem Blog dann auf Aufträge angewiesen und nicht mehr so frei, was man glaube ich auch am Blogstil merken würde.
Gibt es denn noch andere Influencer in deinem Bereich?
Julia: Die Frage ist, wie man den definiert! Ich wurde zum Beispiel gerade als „Bester Heimatblog“ nominiert, mache aber auch Sachen aus dem DIY- und Interior-Bereich und bin gut mit anderen Lifestyle-Bloggern vernetzt. Im Vergleich mit diesen merke ich aber oft, dass ich in einer ganz anderen Welt unterwegs bin! (lacht)
Ich selbst nenne es „Landleben-Lifestyle-Blog“ und meine Themen drehen sich um „Kind-Küche-Kuhstall“. Ich greife gerne Geschichten aus dem Landleben auf, porträtiere starke Frauen und tolle Persönlichkeiten, schreibe über Kulinarisches, typisch Nordfriesisches und alles, was mir so auffällt. Freitags mache ich immer die Instastory auf Plattdeutsch. Interessanterweise besteht meine Leserschaft jeweils zur Hälfte aus Stadt- und Landmenschen.

Wie sehen deine Kooperationen als Influencerin aus? Die Themen scheinen ja oft eher ungewöhnlich zu sein, neulich hast du zum Beispiel eine Besamungstechnikerin begleitet. Wie können wir uns das vorstellen?
Julia: Ich hatte eine Kolumne über das Thema Rinderbesamung in der Zeitschrift top agrar geschrieben, woraufhin ich von einer Mitarbeiterin des NDR kontaktiert und ins Studio für eine Sendung eingeladen wurde, in der mein Blog vorgestellt werden sollte. Wir machten einen unterhaltsamen Beitrag zum Thema „Tinder für Rinder“, was sehr lustig war und sehr viel Spaß gemacht hat. Dazu muss ich erklären, dass es ein „Tinder für Rinder“ wirklich gibt! Genauer gesagt eine App der Rinderzucht Schleswig-Holstein, mit deren Hilfe Milchviehbauern die passenden Partner, also Bullen, für ihre Rinder finden können.
Die PR-Abteilung der App meldete sich nach der Sendung bei mir und bedankte sich, dass ich das Thema so gut präsentiert hätte und bekundete Interesse an einer Kooperation. Da meine Zielgruppe junge Frauen zwischen 24 und 40 sind, habe ich für meinen Beitrag eine weibliche Tierzuchttechnikerin einen Tag bei der Arbeit begleitet, um das Thema Rinderbesamung für meine Leser abseits der Fachbegriffe verständlich darstellen zu können, aber auch zu zeigen, was es mit diesem Beruf eigentlich so alles auf sich hat.
Storytelling ist bei mir das A & O.
Ein anderes Beispiel für eine Kooperation ist Tesa, für die ich alte Gummistiefel meines Sohnes zu Deko umfunktioniert habe. Gemeinsam mit Tchibo griff ich das Thema neue Gartenmöbel auf. Ich wollte allerdings nicht einfach nur die neuen Möbel in die Kamera halten. Also schmiss anlässlich der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan einfach eine englische „Hutparty“ mit Freunden und Public Viewing in meinem Garten. Ich versuche bei meinen Kooperationen immer eine Geschichte zu erzählen, die die Leute unterhält.

Was ist dir bei Kooperationen mit Unternehmen wichtig?
Julia: Alle Kooperationen kennzeichne ich transparent. Anstatt Werbung mit der Keule zu machen, versuche ich, mir eine Geschichte auszudenken. Wichtig ist, dass eine Kooperation zu mir passt. Ich bin zum Beispiel nicht die Kochexpertin, daher kommt es in diesem Bereich stark darauf an. Wenn ich Werbung für Produkte mache, ist mir zudem wichtig, dass man es auch auf dem Land oder online bekommt und man nicht erst bis in die nächste Großstadt fahren muss. Ich achte bei Anfragen also auch auf meine Zielgruppe.
So hatte ich eine Anfrage von einem Unternehmen für Maissaatgut, was meine Zielgruppe null interessiert. Also lehne ich es ab, oder mache einen neuen Vorschlag, der für mich passt. Im Fall habe ich stattdessen über die Zeit des Maisfahrens in Nordfriesland berichtet. Im Stil der Apotheken („Agrotheken“) Umschau habe ich mit einem Augenzwinkern über das „Maisfieber“ aufgeklärt, das dann ganze Familien befällt und was es mit ihnen macht – von der Schwiegermutter über Kinder bis zum Bauern selbst. So kann ich in meinem Stil darüber berichten. In erster Linie müssen Kooperationspartner eben auch mit meinem Humor zurechtkommen.
Gibt es etwas, das nicht so gut gelaufen ist? Was würdest du dir in Bezug auf Kooperationen wünschen?
Julia: Das Briefing ist sehr wichtig, wobei ich sagen muss, dass Unternehmen und Agenturen das zunehmend besser verstehen, da ihre Ansprechpartner in diesem Bereich häufig selbst bloggen.
Ich wünsche mir, dass Unternehmen weniger nur auf die Zahlen schauen, sondern mehr auf die Persönlichkeit.
Zudem ist es sehr hilfreich im Vorfeld zu wissen, welche Zahlen, Links oder Screenshots hinterher je nach Zielsetzung fürs Reporting benötigt werden. Mittlerweile habe ich fürs Reporting selbst ein Template erstellt, das ich meinen Kooperationspartnern anbiete. Meist fülle ich es zwei Monate nach Ende der Kooperation aus und schicke es ihnen. Das spart mir viel Zeit und lässt sich gut planen – anstatt immer wieder auf Nachfrage einzelne Screenshots und Zahlen herauszusuchen.
Außerdem ist es hilfreich zu wissen, was der Kooperationspartner mit der Kooperation bewirken möchte. Das kann z.B. Markenbekanntheit oder Reichweite sein. Bei „Tinder für Rinder“ war es zum Beispiel sehr gut zu wissen, dass Menschen damit erreicht werden sollten, die sich vorher noch nie damit befasst hatten. Das spiegelt sich dann im Schreibstil und im roten Faden wieder.
Was machst du als Influencerin noch, was über klassische Blog- und Social Media-Kooperationen hinausgeht?
Julia: Ich halte viele Vorträge auf dem Land. Dabei höre ich öfter „Frau Nissen, ich habe Ihre Internetseite ausgedruckt und Sie können ja einfach mal ein paar Texte vorlesen.“ Ich möchte aber lieber einen Mehrwert bieten und dass die Leute etwas für sich mitnehmen können. Was ich gerne ausbauen würde, sind gezielte Schulungen zu Internet- und Social Media-Themen.
„Was ich hier auf dem Land mache: den Leuten ‚dieses Internet‘ erklären.“
Zum Beispiel war ich bei der Jahreshauptversammlung der Landfrauen eingeladen, um etwas über meinen Blog zu erzählen. Den Landfrauenvereinen fehlt der Nachwuchs, und ein Grund dafür ist, dass sie immer noch fast ausschließlich an Print und Comic-Sans-Flugblätter glauben, mit denen 25-Jährige erreicht werden sollen. Ich sag mal vorsichtig: Hier sehe ich noch Potenzial.
Daher habe ich nach meinem Vortrag einen zweiten Termin angesetzt und jede der Landfrauen, die Lust hatte, ein Smartphone, Tablet oder Computer und ihre Fragen dazu mitbringen lassen. Sie waren im Schnitt so um die 70. Ich habe dann alle Fragen beantwortet, von „Was bedeutet es, wenn in der Zeitung steht, dass Donald Trump twittert?“ bis zum Onlinebanking, das ich einer Teilnehmerin erklärt habe. Wir haben auch geübt, Selfies zu machen und WhatsApp-Statusmeldungen – übrigens der Mega-Hype bei uns auf dem Dorf!
Schön war, dass gleich ganz viel Feedback von Kindern und Enkeln kam und sich alle gefreut haben, obwohl der Großteil der Damen am Anfang eher ablehnend eingestellt war. Die besonders kritischen Damen – quasi die Influencerinnen im Dorf – picke ich mir übrigens besonders gerne heraus und helfe ihnen. Das funktioniert! Ich könnte mir gut vorstellen, künftig noch viel mehr in diesem Bereich zu machen – auch wenn ich mir damit nie eine goldene Nase verdienen würde, aber es macht einfach Spaß. Bezahlt wurde ich übrigens mit Mettwurst statt Blumen. Ich liebe Mettwurst.
In deinem Blog schreibst du „Ich träume von einer Welt, in der Land- und Stadtmenschen sich wieder nähern.“ Was würdest du als Bloggerin gerne einmal machen?
Julia: Ich mag es, wenn ‚dieses Internet’ Menschen verbindet, zum Beispiel Stadtmenschen und Landmenschen bei meinem Projekt #StadtLandWichteln. Dabei ging es darum, dass unbekannte Stadt- und Landmenschen sich gegenseitig zu Weihnachten einen Brief schreiben und eine kleine Köstlichkeit aus der eigenen Region schicken.
„Ich träume von einer Welt, in der Land- und Stadtmenschen sich wieder nähern. In der sich beide Parteien gegenseitig mehr wertschätzen und Vorurteile abgebaut werden.“
Ich mag auch sehr diese Mischung aus online und offline, also wenn Menschen auch in echt zusammenkommen. Da ja gerade alle total auf Retreats abfahren: Ich könnte mir gut vorstellen, ein Retreat zum Thema Landleben und Landwirtschaft anzubieten. Menschen die Vorzüge des Landlebens im Rahmen eines Retreats näherzubringen – gerne auch mit Dingen wie Yoga und gemeinsamen Essen an einem großen Tisch, aber auch mit Stall und Butterschütteln. Das Ganze wurde ich nicht allzu romantisiert darstellen, sondern gerne anhand eines modernen Betriebs, der übers Smartphone gemanagt wird. Wie in echt eben!

Was würdest du aus deiner Erfahrung heraus angehenden Influencern raten?
Julia: Es ist echt Arbeit und braucht viel Zeit und Muße. Man muss wirklich am Ball bleiben, um sich eine Community aufzubauen. Außerdem sollte man sich in jedem Fall treu bleiben und die Sachen machen, die man gerne macht und die zu einem passen, und nicht jedem Hype hinterherlaufen. Also keinen Podcast starten, weil es alle machen und wenn man persönlich lieber schreibt als redet. Jemanden nachzuahmen würde ich auch nicht empfehlen, sondern man sollte lieber seinen eigenen Stil finden.
Außerdem sollte man sich nicht zu sehr fertig machen, wenn eben nur bestimmte Bilder bei Instagram laufen und die, die einem vielleicht total am Herzen liegen, weniger Likes bekommen als immer dasselbe Motiv vom Esstisch. Als ich meine Tchibo-Gartenmöbel geliefert bekam, witzelte eine Dame aus dem Dorf, „Ach, das ist ja einfach, dann starte ich jetzt auch schnell mal so eine Internetseite, dann kriege ich auch Sachen geschenkt“ und ich so, „Kannste machen, 20 Stunden die Woche, drei Jahre lang, und dann kriegst du bestimmt auch mal ein Möbelstück.“ Aber Spaß beiseite. Wer wirklich Influencer werden möchte, dem rate ich viel Geduld mitzubringen und viel zuzuhören. Ein Influencer ist nur so gut wie die Community, die hinter ihm steht.
Wir bedanken uns bei Julia für das kurzweilige Gespräch und die Einblicke in Bloggeralltag und Landleben!
Das Interview führte Susanne Maier.
Bildquellen: Julia Nissen, deichdeern.com, Anna Huber Fotografie, Redaktion SocialHub Mag
Titelbild: Anna Maucher über Ashley Davis auf Unsplash
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