Social Media für Energieversorger: „Aus Strommarken Lovebrands machen“

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Ein Interview zum Thema Social Media für Energieversorger und Stadtwerke mit Iris Kast und Melanie Koller, trurnit GmbH

Melanie Koller und Iris Kast, zuständig für Social Media am Stuttgarter Standort von trurnit

Die meisten von uns haben vermutlich keine große Lust, sich mit dem eigenen Stromanbieter zu befassen. Sie sind einfach nur froh, durch irgendeinen Anbieter gut versorgt zu sein und dort möglichst wenig zu bezahlen. Doch wie können sich kleine, lokale Stadtwerke Gehör verschaffen und sich gegen große Discountanbieter durchsetzen?
Wie bauen sie in Social Media eine relevante Fanbase auf und mit welchen Themen erlangen sie Einzigartigkeit und Reichweite?

Dieser Challenge nimmt sich der auf Energie spezialisierte Kommunikations-Dienstleister trurnit an. Wie man Social Media für Energieversorger und Stadtwerke betreibt, darüber haben wir uns mit Melanie Koller und Iris Kast von trurnit Stuttgart unterhalten. Sie haben in den letzten Jahren kleine und große Energieversorger an die Hand genommen und sie erfolgreich in die Facebook- und Instagram-Welt geführt.

Ihr habt viel Knowhow in der Kommunikation für Energieversorgungsunternehmen. Wie kam es dazu und was macht ihr genau?

Melanie: trurnit ist eine Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in München, ein Familienunternehmen – daher der Name trurnit. Die Wurzeln liegen im Bereich Corporate Publishing, speziell bei Kundenmagazinen für Energieversorgungsunternehmen. Mittlerweile haben wir unsere Kompetenzgebiete ausgedehnt und bieten unseren Kunden eine umfassende crossmediale Kommunikation, die zum Beispiel auch Pressearbeit, Standortbilanzen oder Mailings abdeckt – und eben auch Social Media.

Iris: Melanie und ich sind für crossmediale Konzeption und Social Media-Kommunikation am Standort Stuttgart zuständig. Wir beschäftigen uns aber nicht nur mit den sozialen Netzwerken, denn für uns sind Facebook und Co. ein Bestandteil eines übergreifenden, crossmedialen Konzepts bzw. Content Marketing-Ansatzes.

Es geht darum, die Geschichten hinter dem Stromzähler zu finden.

Worin unterscheidet sich die Kommunikation in Social Media für Energieversorger und Stadtwerke von anderen Branchen? Gibt es spezielle Herausforderungen?

Melanie: Strommarken sind zunächst keine Lovebrands. Statt mit „sexy“ Produkten, die mit emotionalen Gefühlen besetzt sind, haben wir es oft mit vergleichsweise trockenen Themen zu tun, die viele im Alltag wenig berühren. Die Herausforderung besteht also darin, spannende Themen, Geschichten und Content zu bekommen. Wir müssen die „Geschichten hinter dem Stromzähler“ finden, die man im Sinne eines Storytellings auf Facebook und Co. erzählen kann.

Meist spielen wir dabei die Karte der lokalen Marke aus. Wir haben viele kleinere Energieversorger als Kunden, die dadurch punkten können, dass sie vor Ort aktiv sind, dort Arbeitsplätze bieten und Sponsorings betreiben. Wir zeigen Kunden und Fans, dass lokale Energieversorger die Region bereichern und sich um diese kümmern. Social Media-Kommunikation dient hier also meist dazu, das Image zu fördern und zu stärken. Wir platzieren unsere Kunden als Local Hero und entwickeln ihre Marke zur Lovebrand.

Die Kunden als „Local hero“ platzieren: Viele kleinere Energieversorger können dadurch punkten, dass sie vor Ort aktiv sind, Sponsorings betreiben und sich um die Region kümmern. Hier bietet es sich an, Vereine und lokale Multiplikatoren mit ins Boot zu holen.

Setzt ihr Social Media neben der Imageförderung auch für vertriebliche Aktivitäten oder den Kundenservice ein?

Melanie: Das hängt davon ab, wie bekannt und stark die Marke ist. Größere Unternehmen wie E.ON oder die EnBW nutzen Social Media auch vertrieblich, etwa über Anzeigen zu Produkten und Angeboten. Bei kleineren Energieversorgern ist die Nutzung als Vertriebskanal eher nachgelagert. Hier steht zunächst einmal im Fokus, die Marke in sozialen Medien überhaupt zu etablieren.

Iris: Kundenservice über Social Media spielt auch bei unseren Energieversorgern eine zunehmend wichtige Rolle. Wer ein Unternehmen über soziale Medien anschreibt, erwartet, dass schnell geantwortet wird. Je nach Auftrag bieten wir unseren Kunden an, über die Content-Erstellung hinaus auch Useranfragen zu beantworten und Kommentare und Nachrichten zu moderieren. Das geht vom Community Management bis hin zum Krisenmanagement mit verschiedenen Eskalationsstufen.

Mehrwert ist wichtiger als Call-To-Action

Wie kommuniziert man für Energieversorgungs-unternehmen? Was postet man, und woher bekommt man den Content?

Iris: Der Servicegedanke ist insbesondere für kleinere, lokale Energieversorger entscheidend. Posts, die News über die Region enthalten und einen konkreten Mehrwert für die User darstellen, stehen hier im Vordergrund. Das können Kleinigkeiten sein wie „Unser Kundencenter hat heute geschlossen“ bis hin zu konkreten Warnungen vor Betrugsfällen in der Region. Solche Posts haben großes Interaktionspotenzial, denn sie werden häufig geteilt, um Freunde und Familie zu informieren. Auch Hinweise zu Baustellen aufgrund von Leitungsarbeiten oder zu Störungen im Nahverkehr, für den manche unserer Kunden in ihrem Gebiet zuständig sind, sind dankbare Infos für die Fans.

„Der Servicegedanke ist insbesondere für kleinere, lokale Energieversorger entscheidend.“ Posts, die News über die Region enthalten und einen konkreten Mehrwert für die User darstellen, eignen sich hier besonders gut.

Melanie: Inwiefern Humor bei den Postings eine Rolle spielt, kommt auf die Wünsche und Ausrichtung der Kunden an. Manche betreiben eine sehr formale Kommunikation, andere haben erkannt, dass man mit unterhaltenden Posts seine Community stärken kann. Da gehen auch mal Energiesparwitze. Was und wie kommuniziert wird, legen wir im Vorfeld in einem gemeinsamen Workshop mit dem Kunden fest. In erster Linie muss es authentisch sein. Wir erstellen dann einen Leitfaden bzw. Social Media Guidelines.

Gibt es Dinge, die gar nicht gehen? Welche Themen sind schwierig?

Iris: Unsere Kunden legen viel Wert darauf, ihre Aktivitäten im Bereich erneuerbarer Energien hervorzuheben. Das Thema Ökostrom zum Beispiel führt immer wieder zu Diskussionen, was grundsätzlich erst einmal nichts Schlechtes ist. Auch das Thema Klimawandel kommt gut an – solange es allgemein gehalten ist und übergeordnete Themen behandelt. Sobald es aber um ein konkretes Thema mit spürbaren Auswirkungen vor Ort geht, etwa um einen Windpark, besteht Konfliktpotenzial – nicht nur in Social Media, sondern auch real.

Einerseits sind wir immer für Diskussionen offen und begrüßen diese, andererseits aber wollen wir die Brandherde nicht unnötig schüren. Generell sind die Themen erneuerbare Energien, Klimawandel und Energiesparen ein dankbares Thema, das als Grundrauschen immer mitschwingt.

Kritische Themen sind Risiko und Chance zugleich, besonders beim Thema erneuerbare Energien.

Welche Themen funktionieren besonders gut?
Wie betreibt man Storytelling für Energieversorger?

Melanie: Wir suchen gezielt nach emotionalen Themen und Projekten wie Kooperationen mit sozialen Einrichtungen oder Sponsorings, in denen sich die Stadtwerke lokal engagieren. Die Menschen und Geschichten dahinter lassen sich gut im Kundenmagazin spielen, aber auch sehr schön für die sozialen Kanäle aufbereiten, zum Beispiel als Video. Hierin sehen wir das größte Potenzial.

Das Must-Have für einen Post ist hochwertiger Content

Iris: Ein Beispiel aus der Praxis: Im saarländischen Merzig gibt es eine alte Mühle, die sich zum Feinmechanikbetrieb entwickelte und die später zum Museum ausgebaut wurde. Viele Einwohner haben eine starke Bindung zu diesem historischen Gebäude und möchten sie erhalten. Im Zuge der Restaurierung des Gebäudes musste eine Wasserkraftturbine komplett ersetzt werden.

Das haben wir mit den Stadtwerken Merzig zum Anlass genommen, bei der Entstehung des neuen Social Media-Kanals eine Aktion zu starten. Wir forderten die Community auf, die Seite zu liken. Für jeden Fan spendeten die Stadtwerke Merzig einen Euro für die Restaurierung. Die Reaktionen waren sehr positiv und wir haben gemerkt, dass in dem Projekt viel Liebe steckt und die Menschen dankbar sind, wenn sich die Stadtwerke kümmern.

Lokales Engagement eignet sich besonders gut fürs Storytelling. So spendeten die Stadtwerke Merzig pro Fan einen Euro für die Restaurierung einer alten Mühle. Die Aktion wurde in Social Media u.a. mit einer Serie an Videos für den Hauptkanal Facebook begleitet.

Welche Rolle spielt Videocontent in einer erfolgreichen Social Media-Kommunikation?

Iris:  Das Must-have für einen Post ist hochwertiger visueller Content – und Bewegtbild ist die Königsdisziplin. Selbst ein sehr einfach erstellter Videoinhalt steigert die Reichweite und ist nicht zu unterschätzen, etwa ein mit dem Smartphone erstellter Boomerang. Der ist in Sekundenschnelle mit überschaubaren Aufwand produziert. Für größere Produktionen sind wir für unsere Kunden vor Ort, fangen spannende und berührende Momente ein und zeigen Menschen und Emotionen.

In den Videos rund um die Aktion der Stadtwerke Merzig etwa erzählen ein Mitarbeiter der ersten Stunde im Feinmechanikbetrieb und der Geschäftsführer der Stadtwerke, was sie mit der alten Mühle verbinden. Direkt in der Mühle haben wir gleich eine ganze Serie an Videos für Facebook als Hauptkanal gedreht.

Bewegtbild zählt und wird auch für Energieversorger immer wichtiger. In diesem Beispiel von Original Energie (Serie „Kinderleicht erklärt“) müssen die Fans und Follower eine Reihe von Begriffen erraten, die die zehnjährige Samantha umschreibt, und können anschließend verschiedene Preise gewinnen.

Welche Plattformen eignen sich für Energieversorger am besten?

Melanie: Über Facebook erreichen wir die Zielgruppen unserer Kunden in der Regel am besten. Daneben empfehlen wir auch Instagram – insbesondere, wenn eine jüngere Zielgruppe angesprochen werden soll. Instagram eignet sich beispielsweise gut als Kanal fürs Recruiting.

Das ist Energieversorgern ein großes Anliegen, da sie häufig Schwierigkeiten haben, ihre Ausbildungsstellen für technische Berufe zu besetzen. Für die meisten Energieversorger, die in Social Media einsteigen, sind das die beiden Hauptkanäle. Um die Arbeitgebermarke weiter zu etablieren, eignen sich auch Xing und LinkedIn. Einige Kunden nutzen auch Twitter. Die Plattform eignet sich gut für kurze, schnelle Service-Infos wie zu Streckensperrungen oder Stromausfällen, die nicht aufwändig aufbereitet werden müssen.

Iris: YouTube sehen wir eher als ergänzenden Kanal. Es kommt selten vor, dass User, die sich innerhalb von YouTube bewegen, einem Stadtwerke-Kanal folgen und regelmäßig die Videos anschauen. Das Videoportal dient daher primär zur breiteren Streuung von vorhandenem Content. Bewegtbild-Content laden wir immer in die jeweiligen Kanäle direkt hoch, um die bestmögliche Reichweite zu generieren. Corporate Blogs spielen eine untergeordnete Rolle. In der Praxis hat sich ein Online-Magazin als wertvoller erwiesen. Hier ergeben sich sinnvolle Synergien für die sozialen Medien.

Melanie: Großes Potenzial steckt in der Zusammenarbeit mit Micro-Influencern, mit deren Posts eine hohe Glaubwürdigkeit einhergeht. Den Nachhaltigkeitsgedanken teilen sich ökologisch bewusste Energieversorger mit Bloggern, die sich dem Megatrend Neo-Ökologie widmen. Für die Stadtwerke Fellbach haben wir letztes Jahr beispielsweise mit lokalen Food-Bloggern zusammengearbeitet. Wichtige Influencer für unsere Kunden sind auch Vereine, Geschäftstreibende und andere Multiplikatoren in der Region. Das kann gut und gerne sogar der Bürgermeister sein.

Hat der Instagram-Hype auch die Energieversorger-Branche erreicht?

Melanie: Insbesondere bei den kleineren Versorgern dauert es immer etwas, bis sich ein Hype durchsetzt und die Entscheidung gefällt wird, auf einer Social Media-Plattform aktiv zu werden. Ist es dann so weit, starten Energieversorger meist mit einer Facebook-Seite, da Facebook trotz Einbußen bei der Jugend der nutzerstärkste Social Media-Kanal ist und wir die Zielgruppen hierüber nach wie vor erreichen.

Bei der Wahl des Kanals sollte es primär nie um Hypes gehen, sondern darum, wo das passende Publikum für die kommunikativen Ziele des Unternehmens zu erwarten ist. Generell stellen wir aber eine erhöhte Nachfrage für Instagram fest – vor allem fürs Recruiting. Dabei werden auch Stories genutzt, IGTV bisher weniger.

Iris: Im Recruiting hat es sich bewährt, Azubis und Studenten miteinzubeziehen, zum Beispiel im Rahmen von Take-overs. Das sorgt zum einen für frischen Wind und regelmäßigen Content auf dem Kanal und zum anderen für einen Vertrauensvorschuss bei den Nachwuchstalenten. Wichtig ist daher auch, dass das Unternehmen bereit ist, dieses Vertrauen zu gewähren und auf umständliche Freigabeschleifen verzichtet. Die Azubis erstellen eigene Dienstpläne für die Take-overs und bilden kleine Teams. Bisher haben wir damit sehr gute Erfahrungen gemacht.

Instagram eignet sich für Energieversorger besonders im Bereich Recruiting. Hier hat es sich bewährt, Azubis und Studenten miteinzubeziehen, zum Beispiel im Rahmen eines Takeovers, wie hier bei den Stadtwerken Fellbach. Der Kanal wird intern von Auszubildenden betreut.

Wie schafft man es, sich als kleines Unternehmen, das erst relativ spät mit Social Media anfängt, bekannt zu machen und eine Basis aufzubauen?

Iris: Ohne Werbebudgets kommen Seitenbetreiber nicht mehr aus, wenn sie eine hohe Reichweite erzielen  möchten. Bei den kleineren Kunden sind diese Budgets aber begrenzt und oft bestehen Hemmungen, hier ausreichend Geld in die Hand zu nehmen. Generell verbinden wir Anzeigen gerne mit einer interaktiven, coolen Aktion. Unser Ziel ist, dass unser Content das Potenzial hat, selbst rein organisch viel zu erreichen. Ein Gewinn oder ein besonderer Mehrwert erhöhen natürlich die Attraktivität für die User.

Es müssen Cross-Mediale Themenwelten geschaffen werden

Melanie: Sehr wertvoll sind Kooperationen mit Vereinen, der Stadt bzw. Kommune oder sozialen Einrichtungen. Das erfordert Kontaktpflege und viel Fleißarbeit: persönliche Treffen oder Telefonate mit Vereinen und Institutionen, liken und teilen von Posts anderer Seiten. Nur wer Liebe gibt, wird Liebe zurückbekommen.

Wo seht ihr die Trends in Social Media für Energieversorger und Stadtwerke?

Iris: Oft hören wir, Facebooks goldene Zeiten seien vorbei. Wir beobachten zwar, dass vor allem Jüngere Facebook immer mehr den Rücken kehren. Gleichzeitig sehen wir, dass wir die Zielgruppe, die sich mit der Wahl eines Energieversorgers auseinandersetzen muss, aktuell weiterhin gut bei Facebook erreichen.

Angesichts der negativen Entwicklung der organischen Reichweite müssen wir sie mit noch besserem, noch stärker emotional aufgeladenem Content ansprechen. Die Hochwertigkeit von Content wird von Tag zu Tag wichtiger und die Bedeutung von Storytelling steigt. Zudem ist es notwendig, Bewegtbild-Kompetenzen auszubauen. Ein weiterer Trend ist die zunehmende Bedeutung von crossmedialem Content. Es müssen plattformübergreifende Themenwelten geschaffen werden.

Melanie: Als Facebook-Fan und/oder Kunde muss ich spüren können, dass ich Teil der „Stadtwerke-Welt“ bin und umgekehrt. Dass ich nicht nur über eine Anpassung des Strompreises informiert werde, sondern dass die Kommunikation persönlicher wird und es mehr um die Menschen und Hintergründe geht.

Wir bedanken uns bei Melanie und Iris für das spannende Interview!

Das Interview führte Susanne Maier.
Bildquellen: Melanie Koller, Iris Kast, trurnit Gmbh, Redaktion SocialHub Mag
Titelbild: Anna Maucher über James Pond auf Unsplash

Dieser Artikel zu Social Media für Energieversorger und Stadtwerke erschien zuerst im SocialHub Mag – lade dir unser Social Media-Magazin hier kostenlos herunter!

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